Die Generation Copy & Paste

Kleine Herausforderungen – in unserer modernen Sprache „challenges“ genannt – sind das Salz in der Suppe für Aussteller. Sei es die Erweiterung eines Exponates oder auch das Darstellen eines Themas in einem Ein-Rahmen-Exponat, die Aufgabenstellung schürt das Philatelie-Feuer allemal. Um Kolleginnen und Kollegen anzuregen es ebenfalls zu versuchen, habe ich mir ein Thema vorgenommen, welches die Menschen in unserer Kultur seit einigen Jahren bewegt: Das Verwenden von Informationen, die bereits jemand aufgearbeitet hat. Das ist zwar meistens nichts Verbotenes, wenn wir aber auf die Quellenangabe nur zu gern verzichten, zumindest nicht die „feine englische Art“. Daher habe ich mich mit dieser Generation von Menschen etwas näher befasst. Herausgekommen ist dabei ein philatelistisches Ein-Rahmen-Exponat mit den verschiedenen Aspekten dieser modernen Kultur. Der unten stehende Text besteht ausschließlich aus den Texten im Exponat - es ist kein einziges Wort hinzugefügt.

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Briefmarke Russland 1998

Das Internet ist längst in den Kinderzimmern angekommen. Es verheißt unendliche Wissensweiten, Informationen in Hülle, Fülle und Sekundenschnelle. Spicken, schummeln, cheaten - immer mehr Menschen setzen dabei auf Copy & Paste, die schnelle Möglichkeit Wissen zu verwenden - auch wenn es nicht das eigene ist.

 

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Privatanzeigen-Ganzsache Frankreich 1887

Kopieren und verwenden als Standard

Für beinahe alles gibt es bereits Standard-Vorlagen. Wir brauchen diese nur zu kopieren oder zu verwenden. Gedanken zur Rechtmäßigkeit bleiben meist aus. Was vor der Erfindung des Buchdrucks in den Skriptorien der Klöster Standard war, hat sich in unsere Zeit zu einem neuen Standard entwickelt. In erster Linie zählen heute aber die vier Kriterien der modernen Zeit: Funktion, Form, Kosten und Zeit. Die Tür ist daher weit offen für die Konformität. Unter dem Titel „Werbung“ wird entsprechender Einheitsbrei angeboten.

Sachzwangreduzierte Ehrlichkeit

Eine Folge des lockeren Umgangs mit Original und Kopie sind Lügen. Wir lügen aus Angst vor negativen Konsequenzen. Wir haben etwas Falsches oder Unrechtmäßiges getan und wollen unseren guten Ruf nicht verlieren bzw. der Bestrafung entgehen. Mindestens 50-mal am Tag lügt ein Mensch im Durchschnitt. Die Schlange im Paradies hat damit angefangen und seitdem können wir nicht mehr aufhören. Bis ins 18. Jahrhundert hatte fast jeder Fürstenhof seinen eigenen Goldmacher, nur Gold konnte keiner von ihnen machen. Ob auf der Suche nach Zuwendung, beim Verheimlichen einer Geschlechtskrankheit, beim Angebot von Versicherungen oder seit der Erfindung des Videobandes: Die Schummelei feiert fröhliche Urstände.

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Briefmarke Spanien 1974

Kavaliersdelikt oder legitimer Gesetzesverstoß

Schummeln gehört zum Alltag. Sich verbal mit fremden Federn zu schmücken, gilt privat – wenn überhaupt – als Kavaliersdelikt. Aber auch außerhalb des Verbalen finden wir jede Menge Kavalierdelikte. Besonders beim Autofahren schleichen sich immer mehr davon ein: Telefonieren am Steuer, ein Gläschen zuviel ... Schließlich will man ja nicht unter dem Pantoffel stehen –auch nicht unter dem Gesetzespantoffel. Da raucht man schon einmal in einem Nichtraucherbereich - Pfeifenrauch ist ja nicht so schädlich.

Die Kopie

Die Kopie ist eine schnelle und einfache - manchmal auch kostensparende - Möglichkeit des Zugriffs auf Informationen und Daten. Solange Musik nur über den Rundfunk oder auf Schallplatte gehört werden konnte war die Welt noch in Ordnung. Mit der Entwicklung des Kassetten-Tonbandes waren dem Kopieren kostengünstig Tür und Tor geöffnet. Die Techniken haben sich über die Jahrzehnte entwickelt, selbst Compact Discs konnten einfach kopiert werden. Sinnigerweise hieß bereits anfangs der 1950-er Jahre ein Schutzgatter „Trojan“, ein Name, der auch für ein Huckepack-Virus in der Computertechnologie steht. Die Erfindung des Mikroprozessors beschleunigte die Technik um ein Vielfaches. Nie war eine Kopie einfacher.

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Antwortbrief vom 18.10.1991 mit vorausbezahltem Porto vom Postamt Daw Park R.G.H. (=Krähenpark Rehabilitationszentrum). Dieses existierte bis 24.1.1992.

Menschenräuber

Die Anmaßung fremder geistiger Leistungen, die Übernahme fremder Texte, von Musik, Filmmaterial aber auch von Erfindungen, Designs und wissenschaftlichen Erkenntnissen ist aktueller denn je. Fidentinus schrieb Epigramme des römischen Dichters Marcus Valerius Martialis ab und gab diese stolz als eigene Werke aus. Martialis nannte ihn aber „Menschenräuber“ (lat. „plagiarius“). Charles Dickens‘ Roman „Oliver Twist“ wurde als Fortsetzungsgeschichten von zahlreichen amerikanischen Zeitungen abgedruckt – allerdings ohne sein Einverständnis. Der gewünschte Auslandswechsel blieb daher aus. Im Gegenteil: Als er es wagte, die Idee eines internationalen Urheberrechts aufzuwerfen, traf ihn eine Welle der Entrüstung. Heutzutage achten nationale Organisationen darauf, dass Künstler für ihre Werke Tantiemen erhalten.

Die Krähe und der Pfau

Einst lebte eine Krähe, voll von eitlem Stolz, die stahl sich Federn, die dem Pfau entfallen warn und putzte sich damit. Das eigne Krähenvolk verachtend trat sie in der schönen Pfauen Reihn. Der Unverschämten reißt man hier die Federn aus, jagt sie mit Schnäbeln. Und die Krähe, bös verbleit will wieder nun betrübt zu ihrem Volk zurück. Die aber stoßen sie von sich, mit herbem Schimpf. Und eine derer, die zuvor verachtet, sprach zu ihr: “Hätt’ unsre Lebensart dir vormals conveniert, hätt’st du, was die Natur dir schenkte, akzeptiert, dann wär dir weder jene Schande widerfahrn noch müsstest du zum Unglück jetzt verstoßen sein.”

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Telegramm Protugal 1972

Niemand rühme sich mit fremden Federn

Schummeln gehört zum Alltag. Seien wir so ehrlich: Gelegentlich bricht der kleine Karl Theodor zu Guttenberg in uns allen durch. Wenn es darum geht, einen Bewerbungsbrief zu verfassen oder einen coolen Spruch zum Besten zu geben, oder ein Mail zu schreiben mit kleinen Herzchen als i-Pünktchen ... ... das Internet ist voll von rhetorischen Bauklötzchen für alle Lebenslagen. Sich verbal mit fremden Federn zu schmücken, gilt privat – wenn überhaupt – als Kavaliersdelikt.

 

 

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Farbproben Frankreich 1954

Copyright and Copyleft

Das Recht auf geistige Werke wurde erstmals im 18. Jahrhundert durch das Copyright festgelegt. Die Forderung nach Offenheit führt zu einer neuen Form von Schutz der geistigen Rechte. Das Copyrightzeichen (©) als Schutz geistigen Eigentums. „Nu wäre der Schaden dennoch zu leiden, wenn sie doch meine Bücher nicht so falsch und schändlich zurichten...“ (Martin Luther).

Die Ideen der Aufklärung verbreiteten sich zu einem großen Teil durch Raubdrucke. Heutzutage ist das Lesen und die Weitergabe von Informationen - auch stark verschoben oder in einer veränderten Farbe - eine der Stützen der Demokratie. Dadurch haben sich im 21. Jahrhundert der Wunsch und die Realität durchgesetzt, dass offene Lizenzen (copyleft) sich beliebig weitervererben.

 

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Raute: Zählungszeichen für Postaufkommen - meist im Oktober eines Jahres

Anders als im echten Leben

Wir leben in einer Kultur des Informationsaustauschs, die das Datenschutzkonzept verändert hat. In einer Welt, in der jeder verbunden ist und alles kopiert und im Handumdrehen an Tausende von Menschen gesendet werden kann, heißt Datenschutz nicht mehr nur, seine persönlichen oder privaten Daten zu hüten. Wir können heute durch Ortung Positionen und Objekte mit unserem eigenen Standort verbinden. Wie auch beim Regenbogen treffen virtuelle Welt und Realität hier an einem nicht fassbaren Ort aufeinander. Eine Bestellung von zuhause über das Internet bringt die jamaikanische Zigarre real nach Hause - ohne großen Aufwand. Sogar bezahlt werden kann sie bequem von zuhause aus - Internetbanken bieten hier jeden Komfort. Wehe aber denjenigen, die auf den entsprechenden Schutz vergessen - persönliche Daten werden es nie mehr.

Sekundär-Analphabetismus

Mehr als 14 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in den mitteleuropäischen Ländern können nicht wirklich lesen und schreiben. Mit den modernen Technologien wird das Überleben damit noch schwieriger. Busfahrpläne, Kontoauszüge oder Zeitungen sind für sie unverständlich. SMS und Emails sind häufig nur Buchstabensalat. Schwerpunkt der Ausbildung ist oft das richtige Verhalten beim Konsum, weniger die Fortbildung. Das Lesen von Büchern ist auch bei der Jugend zugunsten der Kurznachrichten stark rückläufig.

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Tintenstrahlentwertung Kanada 2013

Digitale Demenz

Digitale Medien nehmen uns geistige Arbeit ab. Was wir früher einfach mit dem Kopf gemacht haben, wird heute von Computern, Smartphones, Organizern und Navis erledigt. Das birgt immense Gefahren. Digitale Medien machen süchtig. Sie schaden langfristig dem Körper und vor allem dem Geist. Wenn wir unsere Hirnarbeit auslagern, lässt das Gedächtnis nach. Nervenzellen sterben ab, und nachwachsende Zellen überleben nicht, weil sie nicht gebraucht werden. Die Folgen sind Lesestörungen, Ängste, Depressionen, Übergewicht, Gewaltbereitschaft und sozialer Abstieg. Deshalb der Aufruf an alle, die geistige Gesundheit zu fördern („support mental health“). Denn die übertriebene Verwendung von Video-Computerspielen trägt dazu bei, dass oft der Erfolg durch Weiterbildung auf der Strecke bleibt.

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Freistempel Australien 1933 "quality and efficiency" (= Qualität und Effizienz)

Copy Paste Reality

Aus einer technischen Tastenkombination des Computers ist eine Kultur entstanden, die uns alle prägt. Und die wir prägen. Copy Paste Reality bedeutet eine Realität, konstruiert aus Kopien. Kopien, die durch Einbringung von Persönlichkeit und Haltung zu eigenständigen Versionen werden. „Ich bin das Medium für copy paste, nicht der Computer. Ich sauge etwas auf (copy) und kann nicht anders, als es so wiederzugeben, wie ich bin (paste).“ In unserer schnelllebigen Zeit kommt es auf die Effizienz an, in welcher die Qualität nicht untergehen darf. Wo sich etwas Technisches, Digitales in ein Merkmal zur Realitätskonstruktion gewandelt hat und sich dadurch mit Leben füllt, entsteht eine neue Lebenseinstellung. Copy Paste ist als Kulturtechnik, ein fester Bestandteil unseres Alltags geworden.

Ich konnte bei der Ausarbeitung dieses Exponates feststellen, dass es sehr wohl möglich ist, auch ein modernes und aktuelles Thema philatelistisch darzustellen, ohne auf gutes Material verzichten zu müssen. Zudem hat sich wieder einmal die Aussage bewahrheitet, dass es kein Thema gibt, das sich nicht philatelistisch darstellen lässt. Wir beschäftigen uns mit einem Thema, arbeiten es auf und präsentieren es anderen. Diese könnten möglicherweise ebenfalls animiert werden, ein solches Objekt aufzubauen. Zudem bietet ein Ein-Rahmen-Exponat oft den Einstieg in ein umfangreicheres Objekt. Und davon profitieren wir alle!